Zum nachruf: Unser interview mit jane goodall

Die Nachricht vom Tod von Jane Goodall hat uns tief betroffen gemacht. Sie war eine großartige Persönlichkeit, die sich bis zum Schluss unermüdlich für den Naturschutz eingesetzt hat.
Sie hat Millionen Menschen bewegt und Hoffnung gegeben.
Möge Ihr Licht noch lange leuchten.

Danke, Jane, für alles, was du der Welt geschenkt hast.

Im März 2021 erschien in unserer Zeitung „Grün 17“ folgendes Interview mit der legendären Naturschützerin und Verhaltensforscherin – geführt von Victoria Horvat:

Jane Goodall (*3. April 1934, London) hielt immer an ihrem Traum nach Afrika zu gehen fest und arbeitete hartnäckig daran, sich davon nicht abbringen oder entmutigen zu lassen. Im Juli 1960, im Alter von 26 Jahren, reiste Jane Goodall von England nach Tansania, um die bis dahin nahezu unerforschten Schimpansen zu beobachten. Sie verwirklichte ihren Traum von einem Leben bei den Wildtieren Afrikas – trotz zahlreicher Hürden für eine alleinstehende junge Frau ohne Universitätsabschluss.

1961 durfte sich Jane Goodall an der Universität in Cambridge als Kandidatin für die Doktoratswürde einschreiben. Sie gehörte somit zu den wenigen Menschen in der Geschichte, denen eine solche Ausnahmegenehmigung erteilt wurde. 

Sie meinten in einem Interview, Sie gingen als Forscherin in den Urwald und kamen als Aktivistin zurück. Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Goodall: Ja, das gab es – es war im Jahr 1986. Ich reiste zu einer großen Konferenz nach Chicago. Biolog_innen aus aller Welt kamen zusammen und viele berichteten darüber, dass die Zahl der freilebenden Schimpansen immer geringer wird. Die Abholzung des afrikanischen Urwalds und die Jagd würden dazu führen. Ebenso die Tatsache, dass Schimpansen in der medizinischen Forschung eingesetzt wurden, rüttelte mich auf. Ich war zutiefst erschüttert. Als ich damals erkannte, wie schnell ihre Zahl abnahm und die Wälder verschwanden, wusste ich einfach, dass ich etwas tun musste. 

Die Schimpansen von Gombe haben so viel mit mir geteilt und mir wurde bewusst, ich muss diesen einzigartigen Wesen etwas zurückgeben. Ich musste helfen. Also ging ich aus dem Urwald, um Menschen über das Schicksal dieser Menschenaffen zu berichten. 

Wir kennen die Problematik der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und anderen Wäldern Südamerikas für den Sojaanbau in erster Linie für die Fleischindustrie. Ebenso weitgehend bekannt ist der Verlust der Regenwälder auf Borneo für die Palmölindustrie. Von Afrika, geschweige denn Tansania, hört man hier wenig. Welche Gefahren gibt es für die dortige Tier- und Pflanzenwelt? 

Goodall: Auch in Afrika fallen jedes Jahr riesige Flächen ursprünglichen Regenwalds der Profitgier weniger und der Not vieler zum Opfer. Dabei zählen sie zu den wertvollsten Ökosystemen unserer Erde.

Wälder sind die grüne Lunge unseres Planeten. Sie spielen eine wesentliche Rolle für unser Klima, für die globalen Wasserkreisläufe, für die biologische Vielfalt und sie bilden unsere Existenzgrundlage. Die Albertine Rift-Wälder etwa, die sich auch über den Westen Ugandas erstrecken, zählen zu den Top 200 Ökosystemen unserer Welt. Sie sind aufgrund ihres besonderen Artenreichtums von großer globaler Bedeutung. Dennoch werden jährlich Millionen Hektar dieser Wälder zerstört und unsere Quellen des Lebens drohen zu versiegen. 

Auch zahlreiche vom Aussterben bedrohte Wildtiere, wie die Schimpansen, verlieren durch den Raubbau an der grünen Lunge ihren Lebensraum. Die ohnehin kleinen Gruppen von Schimpansen werden in isolierte Waldinseln zurückgedrängt, die meist nicht genügend Nahrung und Schutz bieten. Die mutigsten oder hungrigsten Tiere trauen sich dann auf die angrenzenden Felder, womit Mensch-Wildtier-Konflikte vorprogrammiert sind. Wir müssen also auch versuchen, die Lebensbedingungen für die lokale Bevölkerung zu verbessern. So ist es ihnen möglich, ihre Wälder, und damit ihre Tier- und Pflanzenwelt, zu schützen.

Können Sie uns aus Ihrer Sicht die Problematik und die Auswirkungen auf das Weltklima, die durch den Verlust dieser Wälder entstehen, erläutern? 

Goodall: Die Folgen der rücksichtslosen Abholzung betreffen uns schon jetzt alle: Artensterben, verschmutztes Grundwasser, Klimawandel. In Europa sind wir von immer heftigeren Wetterextremen betroffen, in Afrika verlieren Menschen und Tiere ihre Lebensgrundlage. 

Aber es gibt auch gute Nachrichten: In unseren Wiederaufforstungsprojekten pflanzen wir in Kooperation mit dem Jane Goodall Institute vor Ort lokale Baumarten. 

Nachhaltige Aufforstung beinhaltet aber viel mehr. Es ist wichtig, dass langfristig geeignete Flächen und vor allem verlässliche Partner_innen vor Ort gefunden werden. Die lokale Bevölkerung wird in die Projektkonzeption und -umsetzung involviert. Gemeinsam mit den Teams des Jane Goodall Institute haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, mit ganzheitlichem Einsatz die Wälder Afrikas und ihre Wildtiere zu bewahren und so auch aktiv zum Klimaschutz beizutragen.

Sie haben zu einem Zeitpunkt mit Ihrer Arbeit begonnen, zu dem Forschung noch eine Männerdomäne war. Ihre Forschung wurde zudem noch diskreditiert mit dem Argument „Sie seien ein junges, ungebildetes Mädchen“. Offensichtlich haben Sie sich davon nicht entmutigen lassen. Wie haben Sie das geschafft? 

Goodall: Bereits als kleines Mädchen träumte ich davon, eines Tages nach Afrika reisen und wilde Tiere beobachten zu können. Jeder hat mich ausgelacht. Als ich acht Jahre alt war, war unser Alltag vom 2. Weltkrieg geprägt und meine Eltern waren arm. Afrika war sehr weit weg, vieles war für uns auf diesem Kontinent unbekannt. Für ein Mädchen wie mich war es gänzlich undenkbar, dass es jemals nach Afrika reisen könnte. Schon gar nicht als Forscherin! Aber meine Mutter hat mich immer bestärkt. Sie sagte zu mir: 

Und so war es dann. Als ich später – 1960 – die ersten bahnbrechenden Entdeckungen über die Schimpansen in Gombe machte, wurde ich aufgrund meiner unkonventionellen Herangehensweise bei der Beobachtung von Tieren oft aus wissenschaftlichen Kreisen kritisiert. Ich gab den Schimpansen Namen anstelle von Nummern, habe sie als Individuen mit Persönlichkeit, komplexem Verstand, Emotionen und langfristigen Bindungen gesehen. Mein Mentor Dr. Louis Leakey sowie einige Freunde haben mich immer bestärkt. Und ich hatte noch einen sehr speziellen Mentor – er war für mich, als ich noch ein Kind war, der beste Lehrer – meinen Hund Rusty. Durch ihn wusste ich, dass ich recht hatte, und die Professoren unrecht.

Man könnte also sagen, dass ich dank meines Hundes den Mut hatte, zu meiner Überzeugung zu stehen.

Heute, mit fast 87 Jahren, begegnen mir die Menschen mit viel Respekt. Es ist natürlich oft eine Frage, wie man aufeinander zugeht, wie man sich begegnet, die gegenseitigen Bedürfnisse wahrnimmt. Aber nach wie vor werden weltweit Mädchen und Frauen misshandelt, diskriminiert, haben nicht die gleichen Rechte und Chancen. Für sie müssen wir, die privilegiert sind und etwas bewegen können, uns mit all unseren Mitteln einsetzen. 

Umweltaktivist_innen, speziell Frauen, werden nach wie vor oft bedroht. Greta Thunberg beispielsweise hat unzählige Gewaltandrohungen erhalten. Viele fühlen sich dadurch entmutigt. Was für einen Ratschlag geben Sie diesen (jungen) Frauen? 

Goodall: Wenn ich zurückdenke, weiß ich, dass es mir sehr geholfen hat, dass ich eine Frau war, weil Lewis Leakey, der mir die erste Gelegenheit für meine Arbeit gab, der Meinung war, dass Frauen besser geeignet wären, weil sie geduldiger und einfühlsamer seien. Obwohl viele Männer die gleichen Qualitäten haben und viele Frauen nicht. Aber er glaubte, dass ich es als Frau schaffen konnte und bestärkte mich, an meine Fähigkeiten zu glauben. Das möchte ich allen Mädchen und Frauen so weitergeben: 

Man darf die Hoffnung nicht verlieren und wir müssen als Gesellschaft unsere Verantwortung übernehmen. Begegne ich jungen Menschen, sage ich ihnen stets was meine Mutter zu mir gesagt hat: „Arbeite hart, warte auf die richtige Gelegenheit und wenn du nicht aufgibst, dann wirst du einen Weg finden“. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, etwas zum Positiven zu verändern. Für seine Nächsten und seine Umgebung da zu sein. 

Können Sie uns aus Ihrer Sicht erklären, warum Biodiversität in einem Wald so eine wichtige Rolle spielt?

Ich vergleiche Biodiversität immer sehr gerne mit einem großen Orchester. Stellen Sie sich vor, ein Instrument fällt während eines Konzertes aus. Es wird nicht mehr gespielt. Was passiert? Nicht viel. Merkt man einen Unterschied? Wahrscheinlich kaum. Aber stellen wir uns vor, es hören immer mehr Musiker_innen auf. Eine, einer nach dem anderen. Sie werden ganz schnell eine Disharmonie feststellen und das Gesamte, das ganze Musikstück, wird in sich zusammenfallen. So ist es mit jedem einzelnen Tier, das ausgerottet wird und jeder Pflanze, die nicht mehr in einem Ökosystem existiert. Irgendwann kommt es zum Zusammenbruch, weil ein Teil vom anderen abhängig ist. Kein Teil kann ohne den anderen auf Dauer überleben. 

Ich hatte bis jetzt zweimal die Möglichkeit, in Wien ein derartiges Experiment mit großartigen Musiker_innen zu erleben. Als es im Rahmen meines Vortrages zu dieser Aufführung kam, wurde es im Saal immer ruhiger. Ein Instrument nach dem anderen verstummte. Die Stille am Ende war unheimlich und beklemmend. Ich hatte sehr mit meinen Emotionen zu kämpfen.

Warum sind Bäume in einer Stadt so wichtig? Und was halten Sie von der Idee eines Besucherzentrums (Biosphärenpark-Haus) im Biosphärenpark Wiener Wald in Hernals? 

Goodall: Gerade in großen Siedlungen und Städten sind Bäume und Grünflächen von enormer Bedeutung. Ob für das Mikroklima oder als kleine Ökosysteme für unterschiedliche Tierarten. Kinder, die in Städten aufwachsen, haben so auch die Möglichkeit schon von klein auf mit der Natur in Kontakt zu kommen. 

Ich denke, jede Aktivität, jede Einrichtung, die hier Bewusstsein für die Bedeutung der Wälder schafft, ist ein wichtiger Beitrag für die Förderung von Umweltbewusstsein.

Ein Zitat von Ihnen ist: „Jeder Mensch kann zu jeder Zeit etwas ändern.“  Bei Ihren Vorträgen fordern Sie die Menschen auf, ihre persönliche Stärke und Verantwortung zu erkennen. Und Sie sprechen von fünf Gründen, warum es Hoffnung gibt. Was meinen Sie damit, was sind diese fünf Gründe und warum ist es noch nicht zu spät?

Goodall: Ich betone es immer wieder: Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, trotz der globalen Probleme. Für mich gibt es mehrere Gründe, die mich hoffen lassen und die mir Kraft geben.

Erstens haben wir endlich begonnen, uns mit den Problemen auseinanderzusetzen, die unser eigenes Überleben auf der Erde bedrohen. 

Für die Natur und für die Umwelt ist es von Bedeutung, wie wir leben, wie wir uns ernähren und wie wir uns verhalten.

Mein zweiter Grund für Hoffnung liegt in der enormen Energie, dem Enthusiasmus und Einsatz von immer mehr jungen Leuten rund um den Erdball. Sie tun dies völlig zu Recht, denn diese Welt wird morgen ihre sein. 

Mein dritter Grund für Hoffnung liegt in der Großartigkeit und in der Stärke des menschlichen Geistes, Träume zu verwirklichen und Ziele zu erreichen. Viele Menschen, die von scheinbar utopischen Dingen träumten, erreichten entgegen aller Wahrscheinlichkeit ihre Ziele, weil sie nie aufgegeben haben. Diese Menschen machen ihrem Umfeld Mut. 

Mein vierter Grund ist die Resilienz der Natur. Die enorme Widerstandsfähigkeit der Natur und die Fähigkeit verlorenes Land wieder zurück zu erobern. 

Und was mir in der jüngsten Zeit Hoffnung gibt, ist die Kraft der Sozialen Medien. Auf schnellem Wege werden Informationen ausgetauscht und Menschen können sich vernetzen. 

„Ich, in Hernals kann die Welt nicht retten.“ Was würden Sie so einer Person antworten? Was möchten Sie den Hernalser_innen mitgeben? 

Goodall: Du kannst, wenn du willst. Jeder von uns hat Talente und sollte diese einsetzen. Oft fragen mich – in Anbetracht der globalen Probleme – die Menschen verzweifelt, was gerade sie als einzelne Personen in ihrer Umgebung schon ausrichten können. Dann antworte ich: 

ABER: Wir müssen jetzt sofort handeln. 

Es ist höchste Zeit. 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Jane Goodall und dem Jane Goodall Institute Österreich für das Interview, ihre Unterstützung und ihren unermüdlichen Einsatz.